Sie sind hier: Fluchtberichte / Brief Marie Höpfner
Samstag, 14. Dezember 2024

Mein geliebter Sohn Benno!

Eva Droese,  Kiel, 22.06.04

Marie Höpfner, geb. Arndt, geb. 04.07.1898, bis zur Flucht am 20.02.1945 wohnhaft in Balga, Kreis Heiligenbeil, Ostpreußen, verstorben im Dezember 1945 in Kronskamp, Mecklenburg, ruht in einem etwa 2000 Menschen umfassenden Massengrab. 

Meine Tante Marie Höpfner schrieb am 16.08.1945 einen Brief an ihren Sohn Benno, den ich als Abschrift wörtlich  wiedergebe: 

Mein geliebter Sohn Benno!
Ich will Dir ein paar Zeilen schreiben, denn ich weiß ja nicht ob Du noch da bist und ob wir uns je noch einmal sehen werden. Ich werde Horstchen diesen Brief mitgeben, aber wer weiß ob Ihr Euch noch einmal treffen werdet?

Nun will ich Dir unsere Flucht mitteilen. Am 20. Februar 1945 wurden wir aufgeladen und nach Leysuhnen gefahren. Opa blieb zu Hause, Oma kam mit, aber wir kamen gleich auseinander, ich weiß sonst nichts.

Wir kamen abends auf der Nehrung an und wurden am nächsten Tage über See nach Pillau eingeschifft. Hier blieben wir 8 Tage bei Augustins Verwandten, weil die Schiffe es nicht schafften uns aufzunehmen. Wir waren 10 Personen: Augustins 3, Schröder mit Hedwig und Verkäuferin, Tante Hanne, Papa, Horstchen und ich. Da kamen wir nach ein paar Tagen nach Fischhausen, hier waren wir 5 Wochen.

In der Zeit fuhr ich mit Hedwig mit einem Lazarettschiff noch einmal nach Balga. Opa hat sich so gefreut, daß ich noch einmal kam, er ging einmal täglich nach den Hühnern sehen. In unserem Haus war eine Zahnarztpraxis.

Eine Nacht schliefen wir gut, die zweite schoß schon die Artillerie rein, da fuhren wir zurück. Voll beladen kamen wir zurück und alle haben sich gefreut, aber ich habe ihnen nicht alles erzählt, denn bei Tante Klara (Augustin, Anm. E.) und Gehders sah es schon trostlos aus. In Fischhausen wurden wir so bombardiert und man brachte uns nach Palmnicken, wo wir nochmal 8 Tage waren.

Am 13. April wurden wir von Pillau in ein größeres Vorpostenboot gebracht, das sollte uns nach Hela fahren. Wir hatten solchen Seegang, daß ¾ der Flüchtlinge im  Schiff ertrunken sind, darunter auch Tante Klara und Onkel Georg (Augustin). Horstchen und mich und Tante Hanne hat ein fremder Mann gerettet und Schröders Hedwig hat Papa noch im letzten Augenblick gerettet. Das wird Horstchen nicht vergessen! Abends um 7.00 Uhr kamen wir zurück nach Pillau, wir sind noch 4 Stunden getrieben. Tante Hanne und ich, wir haben uns noch solche Mühe gegeben einen von den Toten zu sehen, aber das durften wir nicht, man sagte uns, daß die Toten auf dem Flüchtlingsfriedhof beigesetzt werden würden.

Unsere Wertsachen, Uhren und Ringe haben wir dabei auch verloren, auch 1.300 RM, auch alle Sparkassenbücher. Am nächsten Tage wurden wir nach Neutief übergesetzt und mußten die ganze Nehrung runter. Ich kam mit meinem Bein zu Schaden und von Stutthof wurde ich mit dem Lazarett weiterbefördert, auch Papa und Horstchen. Von da wurden wir eingeschifft bis nach Hela und von da bis nach Renee. Hier kamen wir in die Eisenbahn und fuhren nach Bornholm, Dänemark. Hier waren wir 16 Tage, da ging es wieder zurück bis Kolberg. Da nahmen sie uns Papa weg, wir wurden mit Fuhrwerken gefahren und nach 3 Tagen hieß es, es geht nach Thorn, da sind noch die Lazarette ganz und Zivilisten sollen in die Heimat.

Nun sitzen wir schon vom 28. Mai hinter Stacheldraht; es sind 10.000 Soldaten und Zivil 500 Frauen und Kinder. Die Kinder sind in einer Baracke allein, sie haben sehr gute Verpflegung, Horstchen hat sich schon schön erholt, aber ich werde es nicht überstehen, der seelische Kummer frißt ja mehr als sonst was. Mein Bein wurde ja hier heil, aber ich bin immer krank, falle von einem ins andere.

Wenn ich bloß mit jemand zusammen wäre, dem ich Horstchen anvertrauen könnte, aber es ist keiner da (Horst damals 7 Jahre Anm. E.D.). Ich bitte täglich den lieben Gott, er soll mich doch in unsere Heimat zurückführen, aber es ist ja alles zerrissen und wir werden uns nicht mehr zusammenfinden. Wer weiß, wo sie Papa gelassen haben, ich habe schon immer nachfragen lassen nach Euch Beiden, aber vergebens.

Hör mal zu mein Sohn, die alte Frau Quandt starb in Stutthof , den alten Meister Thimm hatte Frau Thimm verloren, denn er war schon ganz wirr mit den Gedanken.

Die ganzen Gut,schen Leute kamen auf die „Westpreußen“, aber da sind ja so viele Schiffe untergegangen.

Ich schreibe es Dir wohl alles mein lieber Sohn, aber ob Du noch gesund und am Leben bist? Es heißt ja immer das Lager soll aufgehoben werden. Heute fuhren die ersten Invaliden los. Soldaten, Frauen, Zivil und Kinder. Zur Arbeit sind ja schon mehr Transporte gefahren, aber es kommen ja immer mehr dazu.

Nun will ich Dir noch die Sparbuchnummern aufschreiben. (Anmerkung v. E.D. die Sätze habe ich ausgelassen)

Nun meine Kinder seid tausendmal gegrüßt von Eurer lieben, guten Mutter.

Horstchen ist so gut gewesen, wenn er von seinem Abendbrot etwas übrig hat, bringt er es mir, weil wir immer doch nur Trocknes kriegen.

Heute ist schon der 26. August wir sind noch hier, es heißt ja immer es geht weiter, aber wohin?

Heute ist schon der 2. September, aber wir sind noch hier, es soll ja ein Invalidentransport losgehen, ich bin invalide geschrieben.

O, großer Gott bring uns noch einmal in unsere Heimat!

 

Anmerkung:

Die Söhne Benno und Horst haben überlebt und das Vermächtnis ihrer Mutter (diesen Brief) erhalten.

Frau Lia Brieskorn, die mit meiner Tante im gleichen Lager war, hat Horst nach dem Tode seiner Mutter zu sich genommen, durch das Rote Kreuz hat die Familie ihn gefunden und er fand 1948 bei meinen Eltern sein Zuhause. Sohn Benno hat nach den schweren Nachkriegsjahren eine Familie gegründet.

Zurück