Die Krüge in Balga
Das freundliche Kirchdorf Balga war in den Jahrzehnten vor der Vertreibung ein gern besuchtes und beliebtes Ausflugsziel. Die schmucke Kirche mit dem wundervollen Portal, die hübsche Jugendherberge im Fichtenhain, die romantische Burgruine auf dem hohen Steilufer, der feinsandige Haffstrand mit den angenehmen Bademöglichkeiten und selbst der stets gepflegte Friedhof zogen die Besucher aus nah und fern immer wieder an. Mehrere saubere Gast-Häuser, früher Krüge genannt, sorgten für das leibliche Wohl aller.
Bis um die Mitte des 19. Jahrhunderts gab es in Balga nur einen Krug. Er gehörte zu den ältesten Gaststätten unserer Heimat und dürfte aus einem allgemeinen Bedürfnis heraus entstanden sein. Hier hatte der Deutsche Orden im Jahre 1239 die Ordensburg Balga errichtet, die ein strategisch wichtiger, militärischer und wirtschaftlicher Stützpunkt eines umfangreichen Verwaltungsgebiets, der Komturei Balga, war. In herzoglicher Zeit entstand aus ihr das Hauptamt Balga. Die in ihm gelegenen Städte, Dörfer und Güter, Krüge und Mühlen mußten an bestimmten Terminen ihre Steuern, meist in Naturalien, im Hause Balga abliefern.
Deshalb strömten besonders an den Martini-, Weihnachts-, Lichtmeß- und Ostertagen Schulzen, Kölmer und adelige Herren zu Pferde nach Balga. Daneben mahlten plumpe Wagen ihre Spuren in die Landwege; sie brachten Weizen, Roggen, Hafer, Gerste, Hühner, Gänse, Honig, Wachs u.a. ins Ordens- bzw. Amtshaus. An den Hauptterminen gab’s oft ein gewaltiges Getümmel und Gedränge. Fuhrleute und Knechte mußten zuweilen stundenlang warten, bis sie und ihre Herren abgefertigt, Zins und Ware abgenommen waren. Sie verweilten im Kruge, verzehrten hier ihre mitgebrachten Speisen und tranken dazu Bier oder Met. Wer über Geld verfügte, konnte im Kruge Brot, Fisch, Fleisch, Hökerwaren und die verschiedensten Getränke erhalten. Hausiere und fahrendes Volk sorgten für Spiel und Unterhaltung.
Nach Balga kamen aber auch fremde Gäste, die den Herren im Schlosse ihre Aufwartung oder Geschäfte machen wollten. Den Ordensrittern war es verboten, Krüge zu besuchen. Aber in den nachordenszeitlichen Jahrhunderten saßen in Balga mehrere Beamte, die gern im Kruge einkehrten, schwatzten und zechten.
Da der Krüger von 1536 bis 1826 gleichzeitig Dorfschulze war, verlegte er die Besprechungen, Beratungen und Versammlungen der Dorfbewohner in seinen Krug, hier feierten das Dorf und die Kirchspielbewohner ihre Feste mit Spiel und Tanz, mit kleinen und großen Händeln.
Ob es in der Ordenszeit, als die strengen Ritter in der Burg lebten, gesitteter und ruhiger im Burgkrug zuging, wissen wir nicht. Sicher ist es, daß er in fernen Jahrhunderten eine größere Bedeutung hatte als in den jüngeren Zeiten. Das beweisen die eingangs erwähnten Vorgänge und die hohen Einnahmen des Balgaer Kretchams (Gericht in einem Dorfgasthof). Im Jahre 1447 zinsten die 25 besetzten Krüge des Waldamts Eisenberg, das fast den ganzen Kreis Heiligenbeil umfasste, 59½ Mark, 30 Gänse und 6 Hühner an das Haus Balga. Elf Krüge waren damals wüste, d.h. unbesetzt, sie hätten weitere 24 Mark 2 Schilling eingebracht. Die Abgaben des Burgkruges berechnete man in jenem Jahre auf 70 Mark, „ein Jahr mehr, das andere weniger“. Diese Summe beweist eindeutig, wie einträglich der Balgaer Krug war; denn zu einer Mark (damals nur Rechnungsmünze!) gehörten 729 silberne Pfennige.
Da der Balgaer Krug dem Ordens-Kellermeister unmittelbar unterstand, besaß sein Krüger oder Kretschmer bevorzugte Rechte. Wenn es im Großen Zinsbuch des Deutschen Ordens vom Hause Balga im Jahre 1417 heißt, daß der Kellermeister „vom Schenkwerde“ eine Summe zahlt, dann können wir daraus auf einen Krug vor dem Schlosse schließen. Urkundlich erwähnt wird er im Jahre 1439. Als nämlich der Balgaer Komtur und Vogt zu Natangen Jobst von Strupperg dem Hans Stolzenberg den Bau eines Kruges in dem neu angelegten Dorfe Wolitta gestattete, erhielt dieser am 30. November 1430 eine Verschreibung,
In ihr heißt es: die Fischer von Frauenburg dürfen nirgends anders als in dem neuen Krug zu Wolitta und in dem Balgaischen Kruge Bier holen lassen. An der Haffküste lagen mehrere Gasthäuser; aber nur diese beiden erhielten das bevorzugte Recht. Sämtliche Einnahmen des Burgkruges flossen in die Kasse des Kellermeisters; sein Krüger war der Beauftragte der Ordensherren. Jedenfalls aus diesem Grunde wird der Burgkrug so selten in Urkunden der Ordenszeit genannt.
Wir sind nicht darüber unterrichtet, welche Rolle er in dem Dreizehnjährigen Kriege (1454-66) gespielt hat; sicherlich ist er bei den zahlreichen und wechselvollen Kämpfen um die Burg Balga zerstört worden. Dasselbe Schicksal hat er im Reiterkriege der Jahre 1520/21 erlitten. Nach einem Verzeichnis aus dem Jahre 1521 waren „die Mühlen zu Balga und Häuser verbrannt“, auch die umliegenden Ortschaften, Rensekrug, Pammern lagen in Schutt und Asche. Aus einer Königsberger Chronik jener Tage erfahren wir, daß die Polen Mitte Mai 1520 die Dörfer bei der Ordensburg Balga auspochten, die Leute töteten, das Vieh nach Heiligenbeil und Zinten trieben, wo sie es für das Heer schlachteten. Das Vieh, das jung und mager war, durchstachen sie und ließen es liegen. Es war eine böse Zeit auch für den Burgkrug in Balga.
Anderthalb Jahrzehnte war er wüst, d.h. unbesetzt. Da das Amt Balga seit 1525 dem evangelischen Bischof des samländisch-natangischen Kreises, Georg von Polenz, unterstand und seine Abgaben in des Bischofs Tasche flossen, lag ihm viel daran, die wüsten Bauern- und Krugstellen wieder zu besetzten und die Wunden des Krieges zu heilen. Mehrere Verschreibungen zeugen von seinen Bemühungen. Am 19. März 1536 verlieh er den lange wüst gelegenen, baufälligen Krug zu Balga dem Amtsschreiber Georg Tilo zu kölmischem Recht und scharwerksfrei. Dadurch kam der Burgkrug vor mehr als 474 Jahren (Stand 2010) in Privatbesitz. Er blieb auch ferner die einzige Gaststätte in Balga. Ausdrücklich wird in der Verschreibung bemerkt: „es soll sonst kein Krug vor dem Haus sein“. Tilo erhielt auch das Recht, Branntwein zu brennen und zu schenken, die Hefe dazu sollte er aus dem Schlosse
erhalten. Neben dem Amtsbier, das im Schlosse gebraut wurde, durfte er Jährlich 12 Tonnen fremde Biere für fremde Gäste und „ehrliche Leute“, dazu Wein, Met und Hökerwaren feil halten. Auch erhielt er das Recht, zu seines Tisches Notdurft im Haff mit 15 Säcken und kleinem Gezeuge zu fischen. Es waren also recht beachtliche Zugeständnissse, die dem Amtschreiber Tilo als Krüger verbrieft wurden. In einem Verzeichnis von 1539 wird er nur „Jorge der Krüger“ genannt.
Nach dem Tode des Amtsinhabers Georg von Polenz (1550) dürfte eine Feuersbrunst den Burgkrug eingeäschert haben. Tilo wird nicht mehr erwähnt. Vor mehr als 450 Jahren – am 20. März 1559 (Stand 2010) - verschrieb Herzog Albrecht den Krug Gregor Wunderlich, der ihn „auf seine Kosten“ erbaut hatte. Zur Krugstätte gehörten Äcker und Wiesen, die Erlaubnis zur Entnahme von freiem Bau- und Brennholz aus den herzoglichen Waldungen, das Recht der freien Fischerei mit einem halben Schock Säcken, sechs Netzen und einer Handwate (kleines Zugnetz). Im Kruge durfte Wunderlich allerlei Waren, Wein, Met und Biere auch das Danziger und englische, verkaufen. Während Tilo nur zwei Skot (Rechnungsmünze: eine Mark hatte 24 Skot) Lagergeld von jeder Tonne Bier gezinst hatte, musste Wunderlich einen jährlichen Zins von 12 Mark auf Lichtmeß ans Haus Balga entrichten. An die Kirche in Balga zahlte er jährlich 13½ Schilling Dezem für 22½ Morgen Acker und 15 Schilling Zapfengeld; das Schülergeld betrug acht Schillinge. Das erfahren wir aus einem Kirchenrezeß vom Jahre 1575.
Inhaber des Kruges Balga als Privatbesitzer vom Jahre 1536, welche auch gleich bis zum Jahre 1826 Schulzen waren
Krug-Besitzer | Inhaberzeit |
Georg Thilo Verschreibung durch Georg Polenz | 1536 – 1559 |
Gregor Wunderlich Verschreibung durch Georg Polenz | 1559 – 1580 |
Thomas Schimmerling | 1580 – 1607 |
Sigmund Schimmerling | 1607 – 1615 |
Georg Mertin er war Kornschreiber, dem Kurfürst Johann Sigismund am 12. Juni 1618 sieben Morgen Unland beim Vorwerk Balga nach kölmischen Recht verlieh. | 1615 – 1627 |
Jacob Senger | 1627 – 1629 |
Caspar Rebe | 1629 – 1630 |
Martin Erhard | 1630 – 1641 |
Blasius Schimmerling | 1641 – 1644 |
Jacob Simon | 1644 – 1661 |
Michel Bartsch vermachte der Kirche 100 Mark, die sie sich von ihm geliehen hatte. Sein Leichenstein liegt in der Kirche vor dem Altar. | 1661 - 1680 |
Jacob Simon als seine Frau gestorben war, setzte er sich mit seinen Stief- und eigenen Kindern auseinander und kaufte 1683 den Krug für 2150 Mark | 1680 – 1699 |
Georg Doeppner | 1699 – 1715 |
Johann Simon der seit 1717 mit Anna Leweck, der Tochter des kölmischenFreien Fabian Leweck in Newecken verheiratet war. Nach dem Tode ihres Mannes heiratete sie Johann Hömpler, der nun Kruginhaber wurde. | 1715 – 1733 |
Johann Hömpler selbiger ertrank auf einer Schlittenreise nach Pillau, als er im Tief einen Kahlholzer retten wollte | 1734 – 1753 |
dessen Witwe den Gasthausbetrieb verwaltete seine Witwe († 17 57) bis 1755. | 1753 – 1755 |
Johann Christoph Simon | 1755 – 1759 |
Christoph Hippler selbiger fiel vom Söller (Speicher) und brach sich das Genick 16. Juli 1771. Seine Witwe Anna, geb. Simon (1721-1796), | 1759 – 1771 |
dessen Witwe verwaltete den Krug bis zum Jahre 1780 und übergab ihn dann an Jakob Hippler. | 1771 – 1780 |
Jacob Hippler dessen Witwe Barbara geb. Lemke heiratete den Schiffskapitän Johann Hannemann | 1780 – 1795 |
Johann Hanneman Vorfahre der Linie Korn-Weinreich | 1795 – 1826 |
Johann Venohr | 1826 – 1854 |
Gustav Venohr | 1854 – 1866 |
dessen Witwe | 1866 – 1880 |
Hermann Venohr verkaufte am 3. Juli 1905 an Friedrich Pultke | 1880 – 1905 |
Friedrich Pultke | 1905 – 1925 |
Walter Pultke er ist der letzte Besitzer gewesen, der seine väterliche Gaststätte und seine Heimat mit seinem Vater und seiner Familie verlassen musste. | 1925 – 1945 |
Die beiden ersten Besitzer des Kruges sind aus dem schwarzen Hausbuch Balga, die folgenden dem Pfarrarchiv Balga entnommen. |
Der Krugbesitzer Friedrich Pultke war durch seinen urwüchsigen Humor und sein Erzähltalent nicht nur im Kreise Heiligenbeil, sondern auch weit darüber hinaus als Original bekannt. Er verstarb im 85. Lebensjahr in Dänemark.
Der Pultkesche Krug blieb jahrhundertelang die einzige Gaststätte Balgas. Erst um die Mitte des 19. Jahrhunderts kam eine zweite hinzu, der „Schrödersche Krug“. In den letzten zwanziger Jahren erbaute der Gastwirt „Korn“ am Eingang des Dorfes das „Haus Balga“, und um das Jahr 1936 entstand auf dem Vorburggelände des alten Ordensschlosses der schmucke „Burgkurg“ im Ordensstil. Er war Eigentum des Kreises Heiligenbeil und wurde von der Familie Jordan verwaltet.
Bei den harten und blutigen Kämpfen um die Balgaer Halbinsel im März 1945 sind alle Gaststätten Balgas mit dem einst so schönen Dorfe zerstört worden. Möge der Tag nicht zu fern sein, an dem wir wieder in einem Kruge zu Balga sitzen und plaudern können!